I. Aktuelles aus Forschung und Praxis
Nach der Begrüßung und Einleitung durch Prof. Dr. med. Markus Stücker, Bochum, eröffnete Dr. med. Jeremias Schmidt, Potsdam, das Vortragsprogramm mit Erkenntnissen aus der G-BA-Studie Lipödem. Die aktuell noch laufende LipLeg-Studie solle die Studienlage zur Liposuktion beim Lipödem stärken und stelle gegenüber, welche Wirksamkeit die Liposuktion gegenüber der KPE innerhalb zwölf Monaten auf die Schmerzreduktion in allen Stadien des Lipödems hat. Im ersten Quartal 2025 seien erste Publikationen zu den dann vorliegenden Ergebnissen zu erwarten.
Dr. med. Mario Marx, Radebeul, sprach in seinem Vortrag über die Evaluation der hyperspektralen Bildgebung für die transdermale Messung sekundärer Gewebeödeme. Vorteile dieser Bildgebung seien die Kontaktlosigkeit sowie die schnelle und einfache Anwendbarkeit durch medizinisches und therapeutisches Fachpersonal. Dargestellt werde Zustand vor und nach der Entstauung. Erste Daten einer Studie würden auf eine zuverlässige Identifikation von Lymphödemen hindeuten – unabhängig von Stadium und Messregion.
II. Aktuelle Leitlinien
Nach einem Rückblick auf die bisherigen Leitlinien zum Lymphödem warf Dr. med. Michael Oberlin, Hinterzarten, Vorsitzender der Gesellschaft deutschsprachiger Lymphologen (GDL), in seinem Vortrag "Aktueller Stand der Entwicklung S3 Leitlinie Diagnostik und Therapie der Lymphödeme" einen Blick in die Zukunft. Ziel der offiziell angemeldeten S3 Leitlinie sei nicht nur eine klare Handlungsempfehlung für behandelndes Personal, sondern auch die Erstellung einer Leitlinie für betroffene Patientinnen und Patienten. Geplante Fertigstellung der aktualisierten Leitlinie sei das erste Quartal 2026.
Welche Konsequenzen sich mit der in den vergangenen Jahren überarbeitete S2k Lipödem Leitlinie für die Praxis ergäben, erörterte Dr. med. Gabriele Faerber, Hamburg. Das Lipödem werde fortan als eine schmerzhafte, disproportionale symmetrische Fettgewebsverteilungsstörung der Extremitäten definiert, bei der Druck- und Berührungsschmerz sowie Spontanschmerz und Schweregefühl auftreten. Alle Therapiemaßnahmen der neuen Leitlinie würden auf eine Reduktion der Beschwerden abzielen oder auch der Erhaltung bzw. Erlangung von Mobilität, Funktionalität und Lebensqualität dienen. Eine weitere große Neuerung sei, dass es beim Lipödem keine Einteilung in Stadien mehr gebe. Zur Therapie seien Kann- und Soll-Empfehlungen zu Schmerzreduktion durch Kompression, Physiotherapie, Ernährung, Psychosoziale Faktoren, Chirurgische Maßnahmen etc. formuliert.
III. Chirurgische Maßnahmen
Den dritten Themenblock eröffnete Prof. Dr. med. Gunther Felmerer, Göttingen, mit „Operative Therapie des Lymphödems: State of the Art“. Der Präsident der GDL referierte über operative Therapien wie Resektion, Lymphgefäßtransplantation, Lymphknotentransplantation, Lymphovenöse Shunts oder Mikrochirurgie und stellte deren Indikationen und Risiken vor. Seinen Erfahrungen nach sei die sicherste Operationsmethode die roboterassistierte Lymphknoten-Transplantation.
Über "die älteste und gleichzeitig neueste Technik" der rekonstruktiven Methoden berichtete PD Dr. med. habil. Dipl.-Jur. Univ. Mathias Witt M.A., Castrop-Rauxel. Bei der Therapie der sekundären Lymphgefäßbildung werde ein nanofibrillärer Kollagenfaden vom erkrankten Gewebe bis ins gesunde Gewebe gelegt. Entlang dieses Fadens entstehe eine "Leitung", die den Lymphabfluss fördere und selbst bei nach sechs Monaten erfolgender Resorption des Fadens erhalten bliebe. Der Effekt sei wissenschaftlich noch zu beweisen.
Dr. med. Klaus Hoffmann, Bochum referierte über eine Weiterentwicklung auf dem Gebiet der invasiven Behandlungsstrategien bei Lipohypertrophie und Lipödem. Die Power Assisted Lipoplasty sei mittlerweile State of the Art. Seiner Meinung nach würden begleitende Hitze-Behandlungen bei der Hautstraffung helfen. Sicherheit gewähre das eigenständige Ausschalten des Lasers bei 55 °C. Eine Weiterentwicklung der Methoden sei aufgrund geringer Evidenz notwendig.
In seinem Vortrag „Das posttraumatische Lymphödem – Neue Erkenntnisse in einer unterschätzten Entität“ stellte Prof. Dr. med. Björn Behr, Essen, fest, dass dazu aktuell keine adäquaten Daten hinsichtlich Prävalenz und Risikofaktoren vorlägen. Ziel seiner Arbeit in einer prospektiven Studie sei die Identifikation von Risiken, beispielsweise von Verkehrsunfällen. Daraus ergebe sich, dass das posttraumatische Lymphödem auch sechs Monate nach einer Operation noch eine hohe Prävalenz aufweise. Ebenso seien durch Trauma bedingte Charakteristika relevanter als patientenbezogene Eigenschaften. Wichtig sei ein frühzeitiges Screening, um Risikopatientinnen und -patienten zu identifizieren sowie frühzeitige prophylaktische und therapeutische Maßnahmen umzusetzen.
IV. Konservative Maßnahmen
Den vierten Themenkomplex läutete Prof. Dr. med. Markus Stücker, Bochum, mit seinem Vortrag „Haut-Mykosen bei Ödem-Patientinnen und -Patienten“ ein. Interdigitale Läsionen seien gefährlich, da sie oft eine Eintrittspforte für Erysipele darstellten. Solche Läsionen träten umso häufiger auf, je schwerer das Lymphödem ausgeprägt sei. Eine Therapie der Tinea pedum ("Fußpilz") solle drei bis vier Wochen über die klinische Symptomatik hinaus therapiert werden. Oft reiche eine lokale Behandlung der Nagelmykose nicht aus. Außerdem erfordere ein gramnegativer Fußinfekt in der Regel eine Antibiose.
Wie wichtig die "Entstauungstherapie" in der KPE sei, betonte Tanja Lenk-Killinger, Walchsee, Österreich. Unterstützt werden könne die KPE durch Medizinische adaptive Kompressionssysteme (MAK), Nachtversorgungen mit leichter Kompression, Selbstbandagierung oder Smart-Compression-Devices. Entscheidend für eine Entstauungstherapie sei ein richtig ausgestelltes Rezept inkl. MLD und Kompressionsbandagierung. Um den Erfolg von Entstauung beim reinen Lipödem zu untersuchen, plane die Physiotherapeutin eine Pilotstudie zur Volumenzunahme am Oberschenkel im Verlauf eines Tages.
Einblick in „Faszien und Lymphödem – Bewährtes und Neues“ bot PD Dr. med. Norman Best, Weimar. Sein übergeordnetes Thema war Körperstruktur und -balance. So trete häufig eine fasziale Verspannung in der Leiste, die bei Patientinnen und Patienten mit Lymphödem Stadium 1 und 2 auf, da die Leiste als Bündelpunkt wichtiger Gefäße ein häufiger Problempunkt sei. Die grundsätzlichen Therapieprinzipien gegen eine Verschlechterung des bestehenden Lymphödems seien die Normalisierung der Funktion peripherer Strukturen, die Beseitigung der muskulären Dysbalance, die Automatisierung der motorischen Kontrolle und die Schmerztherapie.
Dr. med. Erika Mendoza, Wunstorf, erläuterte in ihrem Referat die zunehmende finanzielle Belastung der Gesellschaft durch das Lymphödem. In der Entstauungsphase könnten Ressourcen wie Kosten und Zeit durch intermittierende pneumatische Kompression (IPK) eingespart werden. Das zuzahlungsfreie Gerät sei langfristig gesehen günstiger als die Therapiekosten für zweimal 45 min MLD pro Woche. Die Allgemeinärztin und Phlebologin schlug ein Kombimodell vor, bei dem alle zwei bis vier Wochen eine MLD erfolge, um die Kontrolle zu sichern. Die restliche Zeit könne die IPK eigenständig angewandt werden.
Wie sehen sie aus, die „Optionen in der lymphologischen Kompressionsversorgung heute – und morgen?“ Bandagisten-Meisterin Christine Hemmann-Moll, Bad Rappenau, betonte ebenfalls die Notwendigkeit einer vollständigen Verordnung mit genauer Ausführung inkl. aller Zusätze und der genauen Diagnose. Dabei seien nicht alle Sonderausstattungen und Komfortzonen für alle Betroffenen sinnvoll. Sie forderte zeitgemäße Konzepte für das Selbstmanagement und schätzte Medizinische adaptive Kompressionssysteme (MAK) als wichtigen Baustein in der Kompressionstherapie der Zukunft ein.
Prof. Dr. med. Joachim Dissemond, Essen, berichtete über „Neue Indikationen für die Kompression“. Es gebe bereits viele Einzelfallberichte zu entzündlichen Dermatosen wie Erythema nodosum, Necrobiosis lipoidica, Vaskulitis, Livedovaskulopathie, Pyoderma gangraenosum oder Psoriasis vulgaris. Das Erysipel gelte eigentlich als Kontraindikation für Kompression. Trotzdem seien positive Erfahrungen mit Kompressionstherapie gemacht worden, da viele Betroffene im Anschluss an ein Erysipel ein sekundäres Lymphödem entwickelt hätten. Kompression könne hier im Anschluss an die Akutphase erfolgen. Außerdem seien die periphere arterielle Verschlusskrankheit und Diabetes mellitus per se keine Kontraindikationen der Kompressionstherapie. Wichtig sei, dass individualisierte Optionen gemeinsam mit den Betroffenen besprochen würden und zunächst mit einer Kompressionsversorgung mit niedrigem Druck gestartet werde.
Die Veranstaltung überzeugte durch Referentinnen und Referenten aus Deutschland und Österreich. Sie machten den Lymphtag für die annähernd 250 Teilnehmenden zu einer praxisrelevanten Fortbildung. Prof. Dr. med. Markus Stücker kündigte bereits den nächsten Bochumer Lymphtag am 25.01.2025 an.
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